Tradition - Schalmeienzug Eibenstock

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Tradition

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Stechuhr und Hungerlohn,
Kohldampf und Inflation,
arbeitslos und Stempeln geh’n
keine Hoffnung seh’n.
Großkundgebung, Teddie sprach,
Arbeitskampf; 8-Stunden-Tag,
Rote Fahne, erster Mai
und ich war dabei -
spielte die Schalmei
.


Wie kein anderes Lied, als diese Strophe aus einem Stück des Duos „Sonnenschirm“, bringen diese Zeilen ein Instrument mit einer ganzen politischen Bewegung in Zusammenhang.
Zu Recht?
Und tatsächlich werden im Gespräch mit Zeitzeugen immer wieder Verbindungen der Schalmei als ein - im wahrsten Sinne des Wortes - „Instrument“ der Arbeiterklasse, zu einer Ideologie hergestellt.
Ist das zutreffend?
Betrachtet man die Entwicklung der Sozialdemokratie und der Kommunistischen Partei und ihrer Splittergruppen nach dem 1. Weltkrieg, werden immer wieder Parallelen zur Schalmei erkennbar. Es ist gerade eine Stigmatisierung der Schalmei auf eine bestimme Ideologie festzustellen.
Sehen wir das richtig?
Dazu müssen wir uns erst einmal mit der Geschichte der Schalmei als Instrumentes vertraut machen.

Die Schalmei, von der wir heute reden und mit der wir heute spielen steht eigentlich nicht in Verbindung mit dem gleichnamigen Instrument, dass mit dem Holzblasinstrument der Hirten, dem Vorläufer der Oboe oder Klarinette zu sehen ist.
Die Geschichte unserer heutigen Schalmei ist noch gar nicht so alt. Zudem ist der Ursprung unseres Instrumentes ganz in unserer Nähe, nämlich in dem vogtländischen Markneukirchen zu suchen.

Max Bernhard Martin, ein Kaufmann und späterer Fabrikbesitzer aus dem kleinen Ort im sogenannten Musikwinkel war es, der in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts aus einer simplen Autohupe eine eintönige Fanfare entwickelte, die am Anfang vor allem für der Einsatz bei der Feuerwehr, der Polizei, dem Rettungsdienst, der Eisenbahn oder auch auf hoher See gedacht war (noch heute spricht man vom sogenannten „Martinshorn“).
Nach dem Namen seines Erfinders sprach man bald von der sogenannten „Martins-Trompete“, obwohl diese recht wenig mit einer Trompete zu tun hatte.
Tauschte er am Anfang lediglich den Gummibalg der Autohupe durch ein Mundstück aus, entwickelte sich die Martinstrompete, vor allem durch den Einsatz einer aufschlagenden Metallzunge als Tonerzeuger und mehrerer Ventile zu einem Instrument, das nun mit bis zu 8 Tönen daher kam.


In der Zeit der Weimarer Republik und dem Erstarken der rechten Denkweise waren Aufmärsche und Umzüge an der Tagesordnung. Begeisterten die extremen Rechte die Menschen vor allem mit zackiger Marschmusik, konnten ihnen die Linken (Rotfrontkämpferbund, RFB) anfangs nichts vergleichbares entgegensetzten.

Bis durch die Erfindung Martins aus Markneukirchen ein Instrument entdeckt wurde, das zumindest an Lautstärke den Blaskapellen der rechten Marschierer ebenbürtig war. Schon bald tönten, vor allen im Hamburger Raum, die Arbeiterkamplieder, begleitet von den ersten Schalmeienzügen der braunen Ideologie entgegen.
Zudem war das Instrument recht leicht zu erlernen und man brauchte nach einem harten 12-Stunden-Tag wenig Zeit, um sich auf der Schalmei zurecht zu finden.

So war es vor allem der Rotfrontkämpferbund, der die Schalmei für seine kulturellen und ideologischen Zwecke zum Einsatz brachte und geradezu vereinnahmte.

Nach der Machtergreifung der Nazis 1933 versuchte zunächst die Staatsmacht das Instrument für sich und ihre Musik zu verwenden. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt die Schalmei schon zu sehr mit den Kommunisten und Sozialdemokraten verbunden. Das Instrument als Symbol der linken Denkweise wurde recht schnell verboten. Es ist bekannt, dass Schalmeienzüge ihre Instrumente vergruben, einmauerten oder anderweitig beseitigten, um nicht in den Verdacht zu geraten, der Nazi-Ideologie zuwider zu sein.
Auch ist bekannt, dass durch die Nazis während öffentlicher Schauveranstaltungen auf bereitstehenden Ambossen Schalmeien zerstört, ja geradezu symbolisch hingerichtet wurden.

Und so blieb das Instrument bis nach dem Krieg in der Versenkung.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde natürlich, wie nicht anders zu erwarten, die Schalmei als Pseudonym der Linken unter der „Diktatur des Proletariats“ wieder beliebt und waren immer öfters bei den Aufmärschen vor der Staatsführung, zu öffentlichen Kundgebungen und vor allem zum 1. Mai zu hören.

Und wieder musste ein Instrument zum Transport einer Denkweise herhalten und bekam erneut seinen „roten Anstrich“.

Viele von uns kennen noch die grandiosen Aufmärsche der FDJ, die vor allem dem „Klassenfeind“ Stärke und Willenskraft vortäuschen sollten. Und immer auch waren es die Schalmeienzüge, die dabei für den nötigen Schmiss sorgten und fast schon militärische Atmosphäre schufen.

Als Udo Lindenberg in den 80ger Jahren Erich Honecker eine Lederjacke schenkte, mit der Aufforderung, doch etwas „lockerer“ zu sein (Lied: „Sonderzug nach Pankow“), zeigte sich Honecker nicht zufällig mit einer Schalmei bei dem Panikrocker erkenntlich.

Also steht die Schalmei doch für eine Ideologie?

Sicher war das so im Wechsel der Ideologien und Machtverhältnisse. Das darf man nicht übersehen.
Heut aber ist die Schalmei für uns ein Instrument, das in erster Linie gute Laune und eine besondere Stimmung bei den Zuhörern erwecken soll.
Daneben fördert die Arbeit in einem Schalmeienzug nicht nur den Teamgeist, sondern ist für uns eine interessante musikalische Freizeitbeschäftigung.
Die Mitarbeit im Schalmeienzug bringt Freude und ist Ausdruck einer bewussten kulturellen Lebensführung und -gestaltung. Keine der Zuhörer kann sich den Klängen und dem Rhythmus eines Schalmeienzuges entziehen.

In diesem Sinne stehen wir auch nicht in der Tradition der Schalmeienzüge aus überholten und zum Glück vergangenen Staatformen und Denkweisen.

J.L.

 
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19.03.2019
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